Wie jedes Jahr veröffentlichte Warren Buffet seinen Brief an die Aktionäre seines berühmten Unternehmens Berkshire Hathaway.
Dies ist eine willkommene jährliche Quelle der Weisheit und des Pragmatismus für uns Mustachian-Investoren.
Sie erinnert mich jedes Mal daran, wie wichtig es ist, Fakten zu teilen, die einem vielleicht offensichtlich erscheinen, da diese oft aufgrund von tiefergehenden und komplexeren Analysen, die aber nicht unbedingt hilfreicher oder lehrreicher sind, ignoriert werden …
Triff deine Entscheidungen so, als ob du kein Geld bräuchtest
Der erste Abschnitt des Briefes für das Jahr 2021 von Warren Buffett an seine Aktionäre, der uns interessiert, befindet sich auf Seite 11, wo sich Buffett daran erinnert, was er bereits vor 70 Jahren seinen Finanzstudenten beibrachte:
“Ich insistierte, dass sie eine Stelle in (1) einem Bereich und (2) mit der Art von Personen suchen, die sie auswählen würden, wenn sie kein Geld bräuchten. Ich gebe zu, dass die wirtschaftlichen Realitäten diese Art der Suche erschweren können. Dennoch ermahne ich die Studenten, die Suche niemals aufzugeben, denn wenn sie einen solchen Job finden, “arbeiten” sie nicht mehr.
Charlie [Munger] und ich haben diesen befreienden Weg eingeschlagen, nachdem wir es zu Beginn mit ein paar Stolpersteinen zu tun hatten. Wir haben beide als Teilzeitangestellte im Lebensmitteladen meines Grossvaters angefangen, Charlie 1940 und ich 1942. Man vertraute uns langweilige Arbeiten an und wir waren schlecht bezahlt, dies war sicherlich nicht das, was uns vorschwebte. Charlie wurde später Jurist und ich versuchte mich als Wertpapierhändler. Die Zufriedenheit am Arbeitsplatz blieb weiterhin aus.
Bei Berkshire haben wir schliesslich gefunden, was wir gerne machen. Abgesehen von ein paar Ausnahmen, “arbeiten” wir seit mehreren Jahrzehnten mit Leuten, die wir schätzen und denen wir vertrauen. Es ist eine Freude, mit Führungskräften wie Paul Andrews oder den Berkshire families zusammenzuarbeiten, von denen ich Ihnen letztes Jahr erzählt habe.”
Dieser Abschnitt warf Fragen bei mir auf.
Hat Buffett Recht damit, dass man nach dem Arbeitsbereich suchen sollte, den man liebt, damit man nicht das Gefühl hat, zu arbeiten? Oder liegt eher Cal Newport mit seinem Buch “So good they can’t ignore you” richtig, in dem er erklärt, dass man seine Leidenschaft nicht findet, sondern sie durch Erfahrung und allmähliches Beherrschen des Berufes entsteht?
Auch wenn es mir komisch vorkommt, das zu schreiben, denke ich, dass Buffett falsch liegt und die Aussage von Cal es besser trifft.
Denn ja, es ist wichtig, einen Berufsbereich zu finden, der uns von Natur aus anzieht (z. B. Zahlen statt Mechanik bei Buffett), aber das ist nicht das Wichtigste, um langfristig zufrieden zu sein.
Von dem, was ich über das Leben von Warren Buffet weiss, ist das, was ihm das Gefühl gibt, seinen Job so sehr zu lieben, die Tatsache, dass er über Jahrzehnte hinweg ein Meister seines Fachs in der Welt der Investments geworden und geblieben ist – das berühmte “Karriere”-Kapital, von dem Cal spricht. Da er sich spezielle Fähigkeiten angeeignet hat, wodurch er heute die Kontrolle über seine eigene Zeit hat – man kann dies auch als Autonomie bezeichnen.
Hingegen bin ich einverstanden mit dem zweiten Grundsatz des Orakels von Omaha bezüglich der Personen, mit denen du arbeitest (d. h. sie auszusuchen, als ob du kein Geld bräuchtest). Das gilt natürlich, wenn du der Boss deiner Firma bist oder entscheiden kannst, wer in deiner Firma eingestellt wird, aber weniger, wenn du auf der Karriereleiter weiter unten stehst. Du kannst das Prinzip aber trotzdem anwenden, indem du entscheidest, in welchem Team du sein willst oder mit welchem Typ von Manager du zusammenarbeiten möchtest.
Aber kommen wir kurz auf das Arbeitsfeld zurück, von dem Warren spricht.
Als Mustachian, der mit 40 FIRE (“Financial Independence, Retire Early”, zu Deutsch: “Finanzielle Unabhängigkeit, Frühzeitiger Ruhestand”) in der Schweiz sein möchte, spricht mich dies in Bezug auf die “Frühpensionierung” in meinem Leben an.
Tatsächlich ist der Blog, den du hier liest, seit 2014 zu meinem Spezialgebiet geworden. Und selbst wenn er mir kein Geld einbringen würde (was in den ersten 5-6 Jahren der Fall war), würde ich ihn weiterhin schreiben.
Und einen solchen Bereich zu finden, bevor du FIRE wirst, ist sehr wichtig, wenn du nicht in eine Depression verfallen willst, wenn du über Nacht plötzlich keinen Sinn in Form deines angestammten Jobs mehr in deinem Leben hast.
Ich empfehle dir, das Buch “So good they can’t ignore you” von Cal Newport zu lesen, um deinen eigenen Spezialbereich für dein Post-FIRE-Leben zu finden, anhand von einer Reihe von kleinen Experimenten, bei denen du nach und nach aus deinen Fehlern und Erfolgen lernst – vs. vergeblich nach deiner Leidenschaft zu suchen.
Lass dich nicht mit Dummköpfchen ein (weder in deinem Job noch in deinem Leben!).
Warren Buffet schreibt in seinem Brief an die Aktionäre weiter:
In unserem Heimbüro [Omaha, in den USA], sind anständige und talentierte Personen angestellt – keine Dummköpfe. Die Mitarbeiterfluktuation liegt bei durchschnittlich einer Person pro Jahr.
Buffett vermittelt in diesem kurzen Satz einen gesunden Menschenverstand, der leider nicht jedem gegeben ist.
Der Anstand, d. h. gute Sitten und Zurückhaltung in zwischenmenschlichen Beziehungen, wird nicht immer beachtet, wenn man einem potenziellen neuen Kollegen JA oder NEIN sagt. Man konzentriert sich oft zu sehr auf die reinen Fähigkeiten, die ihrerseits erlernbar und verbesserbar sind. Aber Anstand kommt in der Regel von deiner frühkindlichen Erziehung und ist nur schwer zu ändern.
Aber was gibt es Gefährlicheres für eine Firma, als einen toxischen Mitarbeiter einzustellen, mit einem überdimensionierten Ego, dem es gefällt, Leute zu führen, als wäre er eines ihrer Elternteile?
Da ich dies selbst erlebt hat, ist dieser Punkt von Buffett eine gute Erinnerungsspritze.
Und der zweite Teil seines Satzes noch viel mehr: sich nicht mit Dummköpfen einlassen! Alles ist gesagt :)
Langfristigkeit
Der letzte Punkt in seinem Brief, der mein Interesse geweckt hat, steht in diesem Abschnitt:
Ich möchte jedoch noch etwas anderes hervorheben, das unsere Arbeit zu einem Vergnügen und einer Erfüllung macht: für Sie zu arbeiten. Es gibt nichts Erfüllenderes für Charlie und mich, als das Vertrauen langfristiger Einzelaktionäre zu geniessen, die seit mehreren Jahrzehnten in der Hoffnung zu uns gekommen sind, dass wir zuverlässige Verwalter ihrer Gelder sein würden.
Natürlich können wir unsere Aktienbesitzer nicht auswählen, wie wir es tun könnten, wenn unsere Betriebsform eine Partnerschaft wäre. Jeder kann heute Berkshire-Aktien mit der Absicht kaufen, sie bald wieder zu verkaufen. Sicherlich gibt es einige solcher Aktionäre, genauso wie es Indexfonds gibt, die enorme Mengen an Berkshire-Aktien besitzen, einfach weil sie dazu verpflichtet sind.
Jedoch zählen zu den Aktionären von Berkshire zahlreiche Einzelpersonen und Familien, die sich mit der Absicht für uns entschieden haben, sich uns anzuschliessen, “bis dass der Tod uns scheidet”. Oft haben sie uns einen grossen – manche würden sagen übermässigen – Teil ihrer Ersparnisse anvertraut.
Berkshire, seine Aktionäre würden es manchmal zugeben, ist vielleicht nicht die beste Wahl, die sie hätten treffen können. Aber dem würden sie hinzufügen, dass Berkshire sich gut unter denen klassiert, bei denen sie sich am besten aufgehoben fühlen. Und Menschen, die sich bei ihren Investitionen gut aufgehoben fühlen, erzielen im Durchschnitt bessere Ergebnisse als diejenigen, die sich von ständig wechselnden Schlagzeilen, Gerüchten und Versprechungen motivieren lassen.
Langfristig orientierte individuelle Aktieninhaber sind sowohl die “Partner”, die Charlie und ich immer gesucht haben, als auch diejenigen, die wir bei unseren Entscheidungen bei Berkshire stets im Kopf haben. Ihnen sagen wir: “Es ist ein gutes Gefühl, für Sie zu ‘arbeiten’ und wir danken Ihnen für Ihr Vertrauen.”
Dieser Abschnitt spricht mich an, denn so sehe ich die Beziehung, die ich mit dir, über diesen Blog habe 1. Auf jeden Fall mit dem “dir”, wie ich dich mir vorstelle, wenn ich meine Artikel schreibe.
Eines Tages bist du durch Zufall (also ziemlich sicher dank Google) auf diesen Blog gekommen und seit 2014 bist du geblieben.
Denn du weisst, ich denke auf lange Frist. Sowohl bei meinen Investitionen als auch bei allen anderen Dingen, die ich angehe. Auch in 10 oder 20 Jahren wird dieser Blog bestimmt noch dein Kompass in der Welt der persönlichen Finanzen in der Schweiz sein.
Ich sehe meinen Blog wie diese kleinen familiengeführten Geschäfte, bei denen man am Samstagmorgen beim Einkaufen so gerne vorbeigeht, um Grüezi zu sagen, auch wenn man nicht jedes Mal etwas kauft. Man fühlt sich dort, als ob man zur Familie gehörte und man weiss, dass solche Läden für die Ewigkeit da sind.
Man ist gerne dort, weil es sich nicht um irgendein Business handelt, sondern um eine zwischenmenschliche Beziehung zwischen zwei Individuen; in unserem Fall zwischen einem Unbekannten aus der Schweiz im weltweiten Web (mir ^^) und dir, geschätzter Leser.
Wie Buffett sagt, es ist so erfüllend, diese direkte Beziehung zu haben zwischen dem, was ich hier tippe und dir, der diese Zeilen jetzt gerade am Bildschirm liest.
Es gibt keinen “Middle-Manager”, keinen Sponsor, der mir eine redaktionelle Ausrichtung vorgibt. Nur wir zwei, hier, die wir uns zusammen auf dem Gebiet der persönlichen Finanzen in der Schweiz weiterentwickeln.
Und für diese langfristige Einstellung sage ich dir: DANKE.
Und du, was hast du aus Warren Buffetts Brief an die Aktionäre 2021 gelernt?
Übrigens glaube ich, dass jedes Business so sein sollte. Und der Welt würde es so in jeder Beziehung viel besser gehen. ↩︎